Oktober 2022


Während ich meinen Behindertenausweis beantragte, entdeckte ich auch, dass es in meiner Stadt eine kleine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Long Covid gab. Die Gruppe wurde vom Paritätischen organisiert und ich beschloss, mich ihnen anzuschließen. Aber das Treffen war Mittwochs und da habe ich ja immer Reha Sport. Die Gruppen haben sich von der Zeit überschnitten und ich versuchte sie zu überzeugen später anzufangen. Ich hatte die Idee in der Medi Schule wo wir auch den Reha Sport machen eine eigene Selbsthilfegruppe zu gründen.

Leider stand ja auch immer noch der Krieg in der Ukraine im Mittelpunkt und der Energiekrise zur Debatte. Eines Abends beim Reha Sport stand Frau Moritz vor der Gruppe und Bad und in den Verein einzutreten weil die Kosten steigen. Ich erklärte ihr das ich zur Zeit kein Geld bekomme und es mir nicht leisten konnte. Im Hinterkopf habe ich überlegt für den Reha Sport und der Selbsthilfegruppe Werbung zu machen.

Ich habe meine Geschichte aufgeschrieben und dem Westfalen Blatt geschickt. Einige Zeit später meldete sich ein Redakteur und Bad um ein Interview. Ich war zu dem Termin etwas Nervös, aber es war ein sehr angenehmes Gespräch. Ich ging zu Frieden nach Hause und war total gespannt was sie wohl schreiben würde.

Zeitungsartikel

Höxter. Er ist leidenschaftlich gerne Mountainbike gefahren, stand im Job seinen Mann. Dann kam Corona. Seither ist nichts mehr, wie es war. Mirko Niederprüm (47) hat es besonders hart erwischt. Er erkrankte zweimal innerhalb von knapp eineinhalb Jahren. Und trug von beiden Infektionen Langzeitfolgen davon. „Long Covid“ in doppelter Ausführung sozusagen. Atemnot, chronische Erschöpfung (Fatigue), Nervenschmerzen im Bein: Der Familienvater fühlt sich wie ein Schatten seiner selbst – und weiß auch nicht, wie es weitergeht. Trotzdem steckt er den Kopf nicht in den Sand. Im Gegenteil. Er wirbt für den Lungen-Rehasport, der ihm guttut, und gründet eine Selbsthilfegruppe in Höxter.

 

Mit seiner langen Krankengeschichte und der Odyssee durch Facharztpraxen könnte der Industriemechaniker Bücher füllen. Erschwerend hinzu kommen Existenzsorgen angesichts anhaltender Arbeitsunfähigkeit. „Und das alles, weil mich dieses Virus erwischt hat“, schüttelt der Höxteraner nahezu ungläubig den Kopf. Wenn er der Öffentlichkeit nun mutig von seinem Schicksal erzählt, dann tut er das nicht, um Mitleid zu erhaschen, sondern mit einer klaren Botschaft an all jene, die nach Covid 19 ebenfalls nicht wieder auf die Beine kommen: „Macht Rehasport. Er wird bei Long Covid vom Arzt verschrieben und ist sehr hilfreich“, ermutigt Mirko Niederprüm.

Er selbst nutzt diese Möglichkeit, die der HLC in Höxter eröffnet: Jeden Mittwoch von 17.30 Uhr bis 18.15 Uhr arbeiten sich in der Sporthalle der Medi-Schulen der WBK Long-Covid-Patienten unter fachlicher Anleitung zurück in ihre alte Lebensqualität. Der Weg dorthin ist lang. Und erfordert Geduld. Mirko Niederprüm bringt diese Geduld mit und wird durch kleine, aber spürbare Fortschritte belohnt, die er ohne den Reha-Sport nicht für möglich halten würde. „Unbedingt ausprobieren“, rät der Familienvater daher Betroffenen. „Der Reha-Sport ist gut für Jung und Alt“, betont er. Bei Trainingsversuchen auf eigene Faust neige man dazu, sich zu überfordern. „Dann ist man am Ende doppelt erschöpft“, weiß Mirko Niederprüm aus eigenem Erleben. „Das bringt mich nicht nach vorne.“ Deshalb schwört er auf den Long-Covid-Reha-Sport des HLC.

Der 47-Jährige ist sicher, dass es sehr viele gibt, die ihre Beschwerden für sich behalten und nichts unternehmen. „Die Dunkelziffer ist bestimmt hoch.“ Sie alle ermutigt Mirko Niederprüm, aus dem Schneckenhaus zu kommen. „Allein schon der Austausch unter Betroffenen hilft“, ist er überzeugt. In einer Selbsthilfegruppe wissen alle gleich, wovon jemand spricht, wenn er sagt, dass er kaum die Treppe hochkommt und nach wenigen Schritten aus der Puste ist. Mirko Niederprüm möchte dieses Gesprächsforum schaffen und denkt dabei auch an jene, die mit ihm in der Reha-Sportgruppe sind. Sie können nach den Übungen gleich zum Gesprächskreis gehen. Der trifft sich nämlich von Anfang  Dezember an auch immer mittwochs, zweimal im Monat, um 18.30 Uhr. „Ich bin froh, dass wir einen Gruppenraum in den Medi-Schulen bekommen haben“, sagt Mirko Niederprüm. Dann sind die Wege für die Reha-Sportler kurz.

In einer Facebook-Gruppe hält Mirko Niederprüm Betroffene auf dem Laufenden. Bei der Gründung der Selbsthilfegruppe unterstützt ihn das Team des Selbsthilfebüros des Paritätischen. In dessen Räumen in der Möllingerstraße 5 treffen sich Interessierte am Mittwoch, 23. November, 18 Uhr, um gemeinsam die Segel zu setzen. Anmeldungen werden erbeten beim Paritätischen, Telefon 05271/6941045, oder bei Mirko Niederprüm per E-Mail unter longcovidhx@gmail.com

Der Alltag des 47-Jährigen ist nach wie vor überschattet von seiner Verfassung und den Folgen von Long Covid. Die wenige Kraft, die er hat, bringt er in die Familie ein – kümmert sich so gut es geht um die Kinder. Die erste Covid-Infektion holte er sich im September 2020. Damals war er wegen einer anderen Erkrankung in Bad Salzuflen in der Reha. Die zwei Wochen Corona-Quarantäne in der Klinik waren geprägt von Symptomen wie Schüttelfrost, Gliederschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindel, Müdigkeit und Geruchs- und Geschmacksverlust. Geblieben ist die ausgeprägte Erschöpfung – das Fatigue-Syndrom. Es machte die Wiedereingliederung in den Job unmöglich. „Einen Tinnitus habe ich auch bekommen“, berichtet der Patient. Schon in dieser Zeit sah er sich bei den Fachärzten nicht gut betreut, weil jeder nur sein eigenes Ressort und nicht den ganzen Menschen in den Blick genommen habe. 

Nach einem langen Krankenstand und Resturlaub nahm Mirko Niederprüm im Januar 2022 seine Arbeit wieder auf. Dann, im Februar, steckte er sich mit der Omikron-Variante an. „Ich hatte wieder dieselben Symptome und zusätzlich noch Lungenschmerzen.“ Der Familienvater blieb zehn Tage zuhause, testete sich frei und ging wieder zur Arbeit. „Im Sommer habe ich dann gemerkt, dass mit der Luft etwas nicht stimmt.“ Also reduzierte er die Arbeitszeit und ging in die Lungen-Reha nach Bad Lippspringe. Dort erreichte er zwar wieder ein größeres Luftvolumen. Trotzdem wurde er als arbeitsunfähig entlassen. Denn die anderen Long-Covid-Symptome waren ja geblieben. Wegen der anhaltenden Nervenschmerzen im Oberschenkel hatte der 47-Jährige schon vor der Reha eine aufwändige neurologische Untersuchung über sich ergehen lassen.  

Die Erschöpfung ist bis heute ein Dauerzustand. In größeren Runden tritt schnelle eine Reizüberflutung ein. „Wir sind eine große Familie. Ich muss oft das Zimmer verlassen, wenn wir zusammensitzen.“ Beim Treppensteigen hält er sich mit beiden Händen fest. Als ob das alles nicht niederschmetternd genug wäre, kommen wegen seiner langen Arbeitsunfähigkeit Schriftverkehre mit der Krankenkasse und der Bundesanstalt für Arbeit, unerfreuliche Bescheide trotz ordnungsgemäßer Einreichung nötiger Unterlagen und letztendlich Geldsorgen hinzu. Wegen eines Prüfungsverfahrens blieb die Zahlung des Arbeitslosengeldes eine Zeit lang aus. „Miete und Strom müssen aber trotzdem bezahlt werden.“ Mit der Erwerbsminderungsrente, die der Familienvater nach jetzigem Stand bekommen soll, ist das Budget denkbar knapp. 

Trotz der Ungewissheit seiner Zukunft bleibt der 47-Jährige zuversichtlich. Und in seiner Mission – mehr Aufklärung über Long Covid und gegenseitige Unterstützung der Betroffenen – beherzt am Ball. „Der Weg ist lang. Alle müssen ihn gehen.“ Mirko Niederprüm lädt Betroffene ein, ein Stück dieses Weges zusammenzugehen.