“We changed the top :)”


– Pflege bei schwerer ME –

Niemand, der nicht in unserer Situation war, wird das verstehen. Diese Nachricht habe ich irgendwann vom Partner meiner Schwester bekommen, der sie die meiste Zeit gepflegt hat (ich habe ihn eine Woche im Monat abgelöst.)

Ja, das war eine Textnachricht über einen großen Erfolg. Ja, sie bezieht sich darauf, dass meine Schwester und er es geschafft hatten, ihr ein neues Oberteil anzuziehen. Ja, Silja konnte oft tage- oder wochenlang keine neue Kleidung anziehen.

So ist das Leben mit ME. Dinge wie persönliche Hygiene (und Privatsphäre, und psychisches Verarbeiten und Beziehungen und so viele andere Dinge) werden zum Luxus. Zum Privileg gesunder Menschen.

Wer denkt schon daran, dass es sich schön anfühlt, dass ich heute duschen konnte, dass meine Zähne geputzt sind, dass ich gepflegt aussehe und angenehm rieche??

Natürlich niemand. Wenn das aber jemand nicht kann, fällt es sofort unangenehm auf – übrigens nicht nur den anderen, sondern auch den Betroffenen.

Im Kleinen kennt man das vielleicht vom Trekkingurlaub: Die ersten paar Tage, wo man sich nicht (weil es wenig Wasser gibt) oder nicht mit Seife (weil man umweltfreundlich sein will) wäscht, mag man sich selbst nicht riechen. Irgendwann pendelt sich das tatsächlich ein und der Geruch normalisiert sich – so war es jedenfalls bei meiner Schwester, keine Ahnung, ob das universell ist.

Auf jeden Fall ist es eine weitere scheinbare Kleinigkeit, die unangenehm ist und weitere schlimme Sachen nach sich ziehen kann. Einerseits können gesundheitliche Probleme auftauchen, was bei Silja zum Glück nie der Fall war, andererseits hat das bei leichter Betroffenen auch eine soziale Seite: Soll eine Mutter ihr betroffenes Kind lieber waschen, oder lieber 5 Minuten zum Spielplatz fahren? Wenn ein erkrankter Mensch den Arzttermin wahrnehmen will, kann er/sie in der Woche nicht auch duschen. Solche Kalkulationen werden zum Alltag, und die Menschen außen bekommen im besten Fall nichts davon mit, und heften einem im schlimmsten Fall noch jede Menge Stigma an, weil man “vernachlässigt” wirkt.

Und: Ich verstehe, wie das passiert. Ich hätte nie gedacht, dass Körperpflege so schwierig werden kann.

Für Silja war es in den letzten Monaten so, dass sie schon mit normalen täglichen Dingen immer sehr nah am Crash war. Ein falsches Medikament, morgens auf die Campingtoilette gehoben werden, zu lange sprechen – all das konnte starke Verschlimmerungen auslösen. Und viele Dinge sind ja nicht zu umgehen: Die Anstrengungen vom Essen, Trinken, Abführen, Umdrehen usw. konnte ihr niemand abnehmen. Und wenn ein kleines bißchen mehr Energie da war, gab es total viele Dinge, die schon warteten, getan zu werden: Mal eine dringende Frage beantworten, Zähne putzen, unter dem Bett fegen (also wir haben natürlich gefegt, aber die Sinnesbelastung war so stark, dass das auch dick im Energiebudget seinen Niederschlag fand). Ein neues Oberteil war da nur ein Wunsch von vielen.

Ich hatte das in der Woche vorher schon auf dem Wunschzettel gehabt und nie geschafft. Insofern konnte niemand besser verstehen als ich, dass das wirklich eine Nachricht wert war.

Ich habe mich mitgefreut.